„Wie man ein ,Ich‘ macht
oder:
Erste Eindrücke vom TryAngle-Labor
oder:
Wie man Leute auflockert“
Von Claudia Galhós
Warum sind wir hier?
Es war der Nachmittag des ersten Samstags von TryAngle Düsseldorf. Der Tag war grau und der Regen wollte nicht aufhören. Die Gruppe hatte sich zu einer ersten Präsentation im Foyer des tanzhaus nrw zusammengefunden. Die meisten der 20 teilnehmenden Künstler waren bereits angekommen und auch Helena Waldmann, die Kuratorin des Projektes, war da. Die Frage wurde von Stefan Schwarz aufgeworfen, dem Programmdirektor des tanzhaus nrw, Gastgeber und Projektleiter von TryAngle Düsseldorf. Warum sind wir eigentlich hier?
Es fehlten nur noch zwei portugiesische Künstlerinnen, Claudia Gaiolas und Paula Diogo und die Französin Montaine Chevalier, die dann später zu dem Treffen dazu kam.
Die Frage nach dem „Warum sind wir hier“ stand auch in Verbindung mit der Frage nach dem Gesamtkontext des Projektes. Wie kann die Idee zu so einem Projekt zustande? Zur geschichtlichen Aufklärung kam das Projekt „Colina – Collaboration in Arts“ zur Sprache, die erste Ausgabe des Projektes im Jahr 2003 unter der Leitung des portugiesischen Choreografen und Direktors von „O Espaco do Tempo“ in Montemor-o-Velho. Natürlich gab es auch schon vorher ähnliche Experimente. In den Neunzigern gab es SKIT und vor noch nicht allzu langer Zeit „Sweet and Tender“. Aber wenn wir weiter zurückgehen, gab es noch das Black Mountain College. Das 1933 in North Carolina gegründete College initiierte eine neue Art des Lernens und Unterrichtens, die experimentell und interdisziplinär war und in einem Atemzug mit Namen wie Merce Cunningham oder John Cage genannt wird….
Aber jeder geschichtliche, soziologische, politische, menschliche und geografische Kontext macht jedes einzelne dieser Experimente zu einem einzigartigen Projekt. Bei Colina z.B. gab es noch kein facebook und von der europäischen Finanzkrise hatte auch noch keiner was gehört.
Rui Horta war der Initiator des Experimentes, aus dem Colina hervorging, eine Kombination von Künstlerlaboren, die Künstler aus verschiedenen künstlerischen Bereichen zusammenbrachte, um dann in Marseille, Düsseldorf, Tallinn, Newcastle und Aarhus Projektideen zu entwickeln und zu forschen. Fast zehn Jahre später – die ganze Welt in einer Krise – gibt es eine neue Herangehensweise an diese Idee, die Raum und Zeit vorgibt, jenseits dem Verständnis für Raum und Zeit am freien Markt, die Kunst immer noch als im Zentrum des Lebens ansieht und die das Bedürfnis der Künstler, die Möglichkeit zu haben ohne Produktionsdruck experimentieren zu können, anerkennt.
Es ist einiges an Zeit vergangen, seit Colina die Bedeutung und den Bedarf für so ein Open Space Format offensichtlich machte. Aber selbst in der heutigen Zeit ist so ein Utopia noch wichtig. Oder sogar erst recht wichtig und notwendig? Es war ebenfalls Stefan, der diese Frage in den Raum stellte. Damit einher gingen spezifische Fragen und Wünsche, an denen Stefan uns teilhaben ließ, die alle drei TryAngle Labs durchqueren. Der Wille, zu spüren, was in der Kunstszene vor sich geht. Zu erahnen, in welche Richtungen die Kunst gehen könnte. Die Rolle von Künstlern in unserer heutigen Gesellschaft zu thematisieren. Mit der Art zu produzieren, zu arbeiten und kreative Prozesse zu durchlaufen, zu experimentieren, sie vielleicht sogar zu kritisieren…Die Bedeutung von Kunst zu hinterfragen, wie man davon leben kann…Die Zweifel und Nachfragen gehen schon los…
Ein Aspekt, der sich offenbar geändert hat, ist die Bedeutung und der Einsatz von Technologie. Bei Colina war das noch sehr präsent, bei TryAngle scheint das allerdings keine so große Rolle zu spielen. Obwohl Medientechnologie durchaus verfügbar ist, sowohl in Form von allem möglichen Material als auch in Form von Leuten, die damit professionell umgehen können, wie die Gruppe der Studenten der Design-Fakultät, die dieses Lab begleitet.
Wie lockert man Leute auf?
Helena Waldmann ist eine Künstlerin, die bei jedem ihrer Stücke mit einem neuen Thema arbeitet und einer völlig neuen Frage nachgeht. Diesen Aspekt fand Stefan am wichtigsten, als er die Kuratorin von TryAngle Düsseldorf der Gruppe vorstellte. Ihre letzte Arbeit, ein Tanzstück, befasste sich mit der Thematik von Demenz.
Helena teilte uns mit, wie die Zusammenstellung der Künstler durch die Auswahl der mit TryAngle verbundenen Kuratoren erfolgt war. Helena und Stefan (Düsseldorf), Thomas Fourneau (Marseille), Tiago Rodrigues (Portugal) sowie Goran Bogdanovski (Slowenien, Fico Ballett) und Bruno Heynderickx (Norwegen, von „Carte Blanche“, der norwegischen National-Kompanie für zeitgenössischen Tanz).
Aber dann kam die Frage auf. Wie können wir der formellen Präsentation entgehen, mit der jedes Projekt beginnt? Was entscheidest du, über dich selbst zu sagen, wenn du dich kurz darstellen sollst? Was sagst du nicht?
(Bemerkung: Die Frage, wie man Leute auflockert, kam von Helena. Sie kam mitten am Nachmittag auf, als sie vorschlug zusammen ein Fest vorzubereiten. Keine Party, einen Moment des Feierns. Das hatte eine riesige Diskussion über den Druck und Stress zur Folge, Aufgaben für einen Anlass zu verteilen, der eigentlich unbeschwert und frei sein soll.
Dieser Untertext ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen und soll nur auf die Komplexität von Situationen und die unterschiedlichen Ansichten hinweisen, die ein Projekt wie TryAngle hervorrufen kann.)
Gib mir ein „Ich“
Helena schlug ein Spiel vor. Das Spiel veränderte die Bedeutung der Frage, wie man über sich selbst spricht. Und so wurde aus der Frage: wie spricht man über einen Menschen, den man gerade erst kennengelernt hat? Nachdem man sich nur kurz unterhalten hat: wie entscheidest du dich, was du über diese Person sagst und was lässt du weg? Vielleicht sagt das, was du über die Person sagst, etwas über die Person, vielleicht aber auch etwas über dich selbst. Darüber, was du gehört hast, was du gefragt hast, was du bereit warst, vom anderen zu erfahren. Paare sollten sich zusammen finden. 8 Minuten tauschten sie Informationen über einander aus. Am Ende präsentierte jeder den anderen. Was sagten sie über sich selbst aus, wenn sie über den anderen sprachen?
Liste der Paare:
Li Alin und Kingsley A. Odiaka.
Clorinde Durand und Nuria Guiu Sagarra
Frieder Weiss und Jan Machacek
Gudrun Lange und Gui Garrido
Jean-Jacques Sanchez und Gisle Martens Meyer
Jasmina Zaloznik und Claudia Galhós
Cécile Martin und Samir Akika
Tian Rotteveel und Jayrope
Dejan Srhoj und Douglas Bateman
Der Tag ging weiter…und am Ende gab es doch noch eine Feier.
Übersetzung: Claudia Herms
Ein Text
Von Irina Raskin
In solch einem Format wie das TryAngle Programm sollte der Begriff Frage in fetten Lettern geschrieben sein. Gestaltet als ein Laboratorium mit einer „open door“ Politik und verschiedenen den Teilnehmenden zur Verfügung stehenden Mitteln, hat TryAngle kein geschlossenes Werk als Endprodukt zum Ziel. Vielmehr ist es ein Möglichkeitsraum und -zeit, um verschiedene Projekte und Kollaborationen zu initiieren, auszuprobieren, einige Ansätze weiter zu verfolgen und andere wieder fallen zu lassen. Es gibt keinerlei Vorgaben oder rahmengebende Thematiken für TryAngle – alles was in den nächsten zwei Wochen passiert, wird von den teilnehmenden Künstlerinnen evoziert. TryAngle möchte Fragen hervorbringen, statt Antworten liefern.
Doch was sind es für Fragen, die sich am ersten Tag ergeben haben? Das „Warm Up“ Programm der ersten beiden Tage setzt Fragen des Kennenlernens voraus. Wer sind die Teilnehmer? Wer die Initiatoren? Wer die Gastgeber? Was ist die Struktur des Projekts? Und was ist das für ein Standort?
Eine Einführung in das Projekt TryAngle und das tanzhaus nrw, eine kleine Vorstellungsrunde bei der sich die künstlerischen Teilnehmerinnen in zweier Gruppen gegenseitig in wenigen Minuten präsentierten, ein gemeinsames Essen sowie die Durchführung eines gemeinsamen Festes sollten Anhaltspunkte bieten und Informationen liefern. Dabei kamen in den Gesprächen bereits Anliegen zutragen, die über das bloße Kennenlernen hinaus gehen, so wie beispielsweise:
– Das Herausfordern der eigenen künstlerischen Praxis nicht durch das perfektionieren der erworbenen Fertigkeiten, sondern das verlassen gewohnter Arbeitsfelder
– Der Antrieb Neues zu kreieren
– Inwiefern die Struktur des Programms in die entstehenden Projekte eingreift
– Anerkennung der künstlerischen Praxis als Arbeit
– Beziehung zwischen Kunst und Geld
– Möglichkeiten alternativer Modelle des künstlerischen Schaffen, hinsichtlich infrastruktureller Bedingungen
Was sich an diesem Tag abgezeichnet hat, ist Neugier, eine Bereitschaft des In-Frage-Stellens was passiert und die Art wie es passiert sowie das Verlangen sich nicht in Gesprächen auszutauschen, sondern auch künstlerisch, etwas gemeinsam zu entwickeln – mit der Arbeit zu beginnen.
Das erste Projekt wurde von der Kuratorin Helena Waldmann vorgeschlagen: gemeinsam ein Fest austragen. Dies zog eine Auseinandersetzung über zwei verschiedene Arten der Herangehensweise nach sich: zum einen die Möglichkeit von vorgegebenen Rahmen, die ein bestimmtes Format festlegen und innerhalb oder außerhalb derer man arbeiten kann. Oder aber zum andern, dass sich das Format erst im Prozess des Machens, allein durch das Zusammenkommen verschiedener „Ingredienzen“, quasi als Nebenprodukt, entfaltet.
Der Verlauf des Festes schlägt eigentlich eine Vermengung beider Art vor. Doch auf welche Art wird es weitergehen?